Mit freundlicher Genehmigung von Pascale Hugues dürfen wir Ihre Kolumne aus dem Tagesspiegel vom 20. Februar hier veröffentlichen.

Mon BER­LIN

Der Eiffelturm von Schöneberg

Von Pas­ca­le Hu­gues

Das Gasometer ist für Schöneberg das, was der Eiffelturm für Paris ist: Zwei monumentale Stahlgerippe ragen in den Himmel und sind untrennbar mit der Identität ihrer jeweiligen Stadt verbunden. Das al­les unter Wahrung der Größenverhältnisse, versteht sich. Mit seinen 78 Metern reicht der Gasometer nicht mal an den Knöchel der schö­nen Tour Eiffel heran. Aber wir wissen ja, die Berliner übertreiben gerne mal. 

Es sind so wenige Zeugen der Vergangenheit übrig in dieser Stadt, der die Geschichte ganz schön übel zugesetzt hat. Was die Bomben­angriffe wärend des Zwei­ten Weltkriegs nicht zerstörten, erledigten die rabiaten Nachkriegsplaner. Wie viele alte Gebäude wurden hastig abgerissen, wie viele Bausünden an ihrer Stelle errichtet? Und dann dieses Paradox: Wo die Vergangenheit nicht mehr existiert, wird sie minutiös wieder aufgebaut, wie im Fall des „Hotel Adlon“ oder des Stadtschlosses. Dort hingegen, wo sie noch intakt ist, wird alles ge­tan, um sie auszulöschen. So soll der Gasometer in ein Bürogebäude verwandelt werden. 

Es grenzt an ein Wunder, dass ein solches Exemplar der Industriear­chitektur vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts überhaupt über­lebt hat. In ganz Europa gibt es nicht mehr viele davon. Und dem In­vestor fällt nichts Besseres ein, als den Gasometer zur Unkenntlich­keit umzubauen. Um was darin unterzubringen? Büros, noch mehr Büros in einer Stadt, die schon vor der Pandemie zu viele davon hat­te und die seit fast einem Jahr im Homeoffice arbeitet. 

Aber vor allem: Angesichts eines solchen Wunderwerks muss man mit unendlich viel Fingerspitzengefühl, Respekt und Talent an die Sache herangehen. Zuallererst einmal einen Architekturwettbewerb ausschreiben, dann ein kühnes, ehrgeiziges oder einfach nur schönes Projekt auswählen. Eines, bei dem mehrere Felder des Gasometers frei gelassen werden und die Vergangenheit sichtbar bleibt. In Schö­neberg will man davon nichts hören: Irgendein Architekt wird einen gewöhnlichen Büroturm in den Gasometer-Zylinder stecken und ihn mit einer Skylounge mit Panoramablick über Berlin krönen. Eine Skylounge (ich dachte, auf Deutsch nennt man das Dachterrasse) auf einem Gasometer ist wie ein Jacuzzi auf dem Eiffelturm. „Es geht nicht um Ästhetik, sondern darum, eine Struktur zu bewahren“, er­klären die Behörden, die das Projekt betreuen. Wie dreist! Ein saube­res, effizientes, aber seelenloses Projekt. 

Ich bin genauso enttäuscht wie nach der Wiedervereinigung. Ich war so neugierig, wie die Stadt sich selbst neu erfinden würde! Die Deut­schen haben Geld, dachte ich, und Berlin hat Platz … sie werden es in ein Labor für zeitgenössische Architektur verwandeln. Da war ich wohl naiv. Ich kam ein paar Wochen vor dem Mauerfall nach Berlin und fand die Stadt beim ersten Hinsehen einfach nur hässlich, fand kaum Spuren ihrer Vergangenheit. Kein Wunder, ich hatte vorher in London gelebt. Aber ich lernte, Berlin zu lieben. Ich wohne in Schö­neberg und wenn ich jetzt einen Abendspaziergang beim Gasometer mache, wenn ich den Cheruskerpark durchquere und zu diesen prächtigen, luftigen Maschen aus Stahl hinaufschaue, ergreift mich eine große Traurigkeit. Ich mache mir Sorgen um Berlin. Ich möchte meine Adoptivstadt gerne schützen. Wenn so viele von uns Auslän­dern aus der ganzen Welt in Berlin leben, dann auch wegen Orten wie diesem. Unterschreiben Sie die Petition „Gasometer retten“! Schützen Sie den kleinen Eiffelturm in Schöneberg!

Übersetzung aus dem Französischen: Odile Kennel

4 Gedanken zu „Der Eiffelturm von Schöneberg – von Pascale Hugues“
  1. Leider wohne ich nicht direkt in Schöneberg, sondern genau gegenüber! Vom Balkon sehe ich auf der einen Seite den Gasometer und auf der anderen Seite das Gerippe vom Steglitzer Kreisel. Beide Gebäude faszinieren mich auf unterschiedliche Weise. Ich möchte keine von beiden vermissen, besonders das bizarre Gerüst des Gasometers! Also: Finger weg vom Gasometer!

  2. Die innere Bebauung des Gasometers auf der Roten Insel wäre vergleichbar mit einer inneren Bebauung des Eiffelturms in Paris. Das Symbol eines ganzen Stadtteils würde zugunsten unnötiger Büroflächen unwiderruflich zerstört. Wieso verliert hier der Denkmalschutz eigentlich seine Bedeutung? Gehen privatwirtschaftliche Interessen wirklich vor? Oder zeigen sich bestimmte Bankkonten einfach nur aufnahmebereiter?

  3. Viele wissen es nicht. Neben einer Anzahl anderer – nennen wir es Absonderlichkeiten der Bauereignisse auf dem ehemaligen GASAG-Gelände – , die Pikanterie dieses Projekt: Der Projektentwickler R.M. war von 1996 – 2004 Mitglied des Landesdenkmalrates. Mehr noch, 1999 wurde von ihm die Stiftung Denkmalschutz Berlin gegründet, ein auch politisch interessantes Unternehmen, in dessen Vorstand und Kuratorium einige illustre Gestalten vertreten waren.
    Heute stark eingedampft: https://www.bürger-für-denkmale.de/vorstand-und-kuratorium.html
    – sehr lustig: Bürger für Denkmale!

    1. Ich würde in dieser Angelegenheit nicht zu schnell urteilen und auch nicht im Sinne eines Rückschlusses von heutiger bekannter Warte aus. Nach dem Motto: Es hätte ja nicht anders kommen können.

      Die persönliche Entwicklung Müllers sehe ich im Kontext paralleler Entwicklungen auf nahezu allen anderen Gebieten der Gesellschaft: Dass immer wieder Menschen dem Rausch purer Größe erliegen und sich damit von der ursprünglich positiven, schöpferischen Absicht entfernen.

      Ich bin vorsichtig dabei, darin ein klares Urteil zu fällen. Vielleicht kann das einfach nur „bemerkt“ werden, damit wir unsere Augen offen halten können, auch bei anderen Gelegenheiten.

      Kurz gesagt: Es ist keine illustre Gesellschaft, die sich da in der besagten Stiftung versammelt hat, sondern durchaus ernstzunehmende Menschen. Und, zugleich: Denkmalschutz und Ökologie droht zu einer rein verkopften Angelegenheit zu werden, wenn nicht das Menschlich-Sinnliche den Ausschlag gibt, sondern ein Denken um die Ecke rum. ´ Wir haben die Bahn, also kann das ja nur zwingend ökologisch sein, weil Bahnfahren eben ökologischer ist als Autofahren.´

      So kurz wurde Ökologie noch nie gedacht, wie jetzt.

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